09.04.2016 - 18:45 Uhr
Ein Film von Stefan Pannen und Cristina Ricci
Die Basilicata, im Süden des Appenin zwischen Apulien und Kalabrien gelegen, ist eine der unbekanntesten Regionen Italiens und eine der ärmsten. Wie die Menschen hier früher lebten, hat Carlo Levi in seinem 1979 verfilmten Roman „Christus kam nur bis Eboli“ beschrieben. In den nur schwer zugänglichen Bergregionen hausen bis heute die Hirten mit ihren Ziegen, unten in den Tälern jedoch, wo die Flüsse Sinni, Agri und Basento ins Meer strömen, wird seit jeher Obst und Gemüse angebaut: Oliven, Salat, Pfirsiche, Aprikosen, Erdbeeren, Zitronen, Mandarinen – und Orangen.
Vom November bis April sind sie das Hauptgeschäft der Gebrüder La Polla. Gemeinsam besitzen die fünf Geschwister rund 30 Hektar Land rund um die Stadt Tursi, die – wie die meisten Orte hier – eine lange und wechselvolle Geschichte hat. Es waren Araber, die die Stadt oben auf dem Berge gründeten, das arabische Viertel mit dem Namen „Rabatana“ existiert bis heute, wenngleich die Hälfte der Häuser verlassen und verfallen ist. Später kamen Normannen, Genueser, Franzosen und Spanier. Sie alle hinterliessen ihre Spuren. Etwa im 15. Jahrhundert wurde weiter unten auf einem Felsvorsprung das heutige Stadtzentrum gegründet, mit seinen verwinkelten Gassen, Treppen und den in den Berg hinein gebauten „Cantine“, in denen bis heute die Vorräte aufbewahrt werden – und wo bisweilen auch gekocht wird. Unten im Tal liegt schließlich die moderne Stadt. Hier, in und um Tursi, leben die Geschwister La Polla.
Der 38jährige Vincenzo ist der Bauer in der Familie. Er lebt in einem kleinen Häuschen inmitten der Orangenhaine. Im Erdgeschoss befindet sich eine kleine Küche mit dem offenen Kamin und dem Herdfeuer, im ersten Stock ein kleiner Raum, der Schlafstätte und Vorratskammer in einem ist. Sein Brot backt Vincenzo in einem Ofen vor dem Haus. Zwischen den Orangen weiden seine 30 Ziegen. Vincenzo ist es, der in der Hauptsache das Land der La Pollas bewirtschaftet, das die Geschwister nach dem Tod des Vaters geerbt haben.
Sein Bruder Diego (42) ist das Gegenteil des bodenständigen Vincenzo. Er ist viel herumgekommen, hat jahrelang in Norditalien in den verschiedensten Berufen gearbeitet. Dann hat er das elterliche Haus oben in der Rabatana renoviert. Nach seiner Heirat vor zwei Jahren ist er eingezogen und lebt dort mit seiner Frau Filomena und dem ein Jahr alten Francesco. Er arbeitet mal hier, mal dort und manchmal hilft er dem Bruder. Diego ist Kulturpessimist, beschwört wortreich das Leben in der guten alten Zeit. Und so nimmt es nicht Wunder, dass für ihn die Orangen von Tursi die besten sind: Die Bäume sind älter als in den Plantagen unten am Meer. Und die La Pollas bauen noch alte, fast vergessene Sorten an und kaum die modernen Hybridsorten.
Was sie kochen, ist von den verschiedenen Besatzern geprägt. So hat Vincenzo gerade ein Schwein geschlachtet – das hält fast jeder hier. Diese Tradition lässt sich bis in die Zeit der arabischen Besatzer zurückverfolgen, denen es als Muslimen verboten war, Schweinefleisch zu essen; deshalb wussten die Bauern, dass sie nicht befürchten mussten, dass ihnen das Borstenvieh von den Herren aus dem Stall geholt wurde. Vincenzo macht Wurst aus dem Schweinefleisch. Und die kommt in die Tomatensauce für die Pasta. Die wiederum wird in der Basilicata auf ganz spezielle Weise gemacht: Entweder als „Ferrazzuoli“, dabei wird der Teig um einen dünnen Eisenstab – „ferre“ – gerollt. Oder als „Rasciatelli“, bei denen der Teig mit dem Finger zu kleinen Muscheln geformt wird, die die Sauce am besten aufnehmen.