Es ist vielen Zeitgenossen vielleicht nicht mehr bewusst, weil inzwischen alles glatt geht. Aber ein wirkliches, seinerzeit an ein Wunder grenzendes politisches Ereignis war die Aussöhnung mit Frankreich unter Adenauer. Kein zwischenstaatliches Verhältnis bei uns (schon gar nicht das mit England), war so affektbesetzt, so aufgeladen mit Groll und Hass, aber eben auch mit gegenseitiger Bewunderung, ja mit dem Wunsch, vom jeweils anderen geliebt zu werden, wie das zu Frankreich.
Versailles 1871 und 1919, Compiègne 1918 und 1940, Verdun und der Ruhrkampf: mag ja alles sein. Mag alles wehgetan haben. Aber der gebildete Deutsche, der kultivierte Franzose wusste immer: „Wir sind die beiden Flügel des Abendlandes. Wer den einen behindert, lähmt den Flug des anderen.“ So steht es in Romain Rollands epochalem Roman „Jean Christophe“ von 1912, und so bleibt es. Auch wenn wir uns in der Zwischenzeit an andere Partner rangemacht haben: Seelengeschichtlich bleibt Frankreich für Deutschland die Nummer 1.
Ein willkommener Anlass, an diese unumstößliche Tatsache wieder einmal zu erinnern, ist das 50-jährige Jubiläum des sogenannten Elysée-Vertrags, der seit 1963 eine „entente cordiale“ zwischen den beiden ehemaligen „Erbfeinden“ vorsieht. Der Fernsehfilm von Werner Biermann und Kristian Kähler verbindet die Erinnerung an das historische Vertragswerk mit dem anschaulich und elegant ins Erzählerische aufgelösten Hinweis darauf, dass dies so kurz nach dem Zweiten Weltkrieg nicht möglich gewesen wäre, wenn es diese beiden Herren nicht geben hätte: Konrad Adenauer, der 1933 sauber geblieben war, sowie den General de Gaulle. Der hatte es meisterhaft verstanden, die französische Niederlage von 1940, gleichsam in letzter Sekunde, im August 1944 in einen Sieg zu verwandeln. Auch war er der einzige Franzose, der in den Augen seiner Landsleute (als Militär) legitimiert war, die Aussöhnung mit einer Nation voranzutreiben, unter deren Besatzung Frankreich vier Jahre lang erheblich zu leiden gehabt hatte.
Der Fernsehfilm spricht damit zwei Wahrheiten aus, die heutzutage viele politisch korrekte Gemüter ergrimmen werden (umso besser!). Erstens: Politik machen heißt auch, sich über „Stimmungen“ in der Bevölkerung kühn hinwegzusetzen. Vor allem aber: Männer machen eben doch Geschichte. Zumindest, wenn sie danach sind.
Und das waren diese beiden. Biermann/Kähler zeichnen sehr schön den Beginn einer großen Freundschaft nach, die im Sommer 1958 ihren Anfang nahm – als eine, wie die De-Gaulle-Biografin Frédérique Néau-Dufour hier schwärmerisch verkündet, „Liebe auf den ersten Blick“. Das hatte mitnichten etwas Erotisches, zumal die beiden Herren, die sich da ganz privat auf dem lothringischen Landsitz des Generals zum ersten Mal begegneten, zwei durchaus ältere Semester waren (de Gaulle zählte 68 Lenze, Adenauer 82). Aber eine Art geistige Liebe muss es eben doch gewesen sein, vor allem von Seiten des Generals, der nun offenbar endlich einen Deutschen gefunden hatte, den er in die Arme schließen konnte. Einen Deutschen, der, wie er, im katholischen Glauben und im bürgerlichen Geschichtsgefühl des 19. Jahrhunderts fest verwurzelt war. Welche Erleichterung nach all den Proleten, Barbaren und Vatermörder tragenden Lakaienseelen, mit denen es seine Generation bis dato zu tun gehabt hatte! Und so konnte denn der General den Deutschen 1962 jenes Geschenk machen, das sie mit so dankbarer Erschütterung erfüllte wie später nur noch Kennedys (freilich salopperes) „Ich bin ein Berliner“. Der General sprach: „Sie sind ein großes, jawohl ein großes Volk!“ Er sagte es, in eine komplizierte Nebensatzkonstruktion eingebunden, auf Deutsch.
Die Welt, 19.01.2013