Mit “Moby Dick” durch Amerika

Ein Film von Peta Jenkin und Hai-Hsin Lu, 52min, 2023

Bei vielen löst das Buch Ehrfurcht und Schrecken aus, bei anderen Tränen der literarischen Entzückung. Auf Hunderten von Seiten entfaltet sich der genetische Code der USA: Herman Melvilles Roman „Moby-Dick“ trägt alle Versprechungen, Konflikte und Ideale in sich, die das Land ausmachen. Jede Generation deutet das Buch für sich neu, kramt es in Krisen-situationen hervor, findet in der Erzählung Inspiration.

Wie kein anderer Schriftsteller der Vereinigten Staaten hat Herman Melville vom Traum und Albtraum der amerikanischen Gesellschaft geschrieben. Der Widerspruch zwischen missionarischer Sehnsucht nach Freiheit und der skrupellosen Verwirklichung eines individuellen Glücksstrebens hält die USA bis heute im Würgegriff. Rassismus, Extremkapitalismus, Sicherheitsparanoia, Rechtsradikalismus und religiöse Besessenheit führen den amerikanischen Traum nach fast 250 Jahren – seit der Gründung der Vereinigten Staaten – ad absurdum und spalten das Land tief.

In einem zunehmend polarisierten Land begegnen uns Amerikaner*innen in ihrer Realität. Auf beiden Seiten der politischen Lager zeigen sie uns ihre Kämpfe und ihren Alltag mittels selbstgedrehter Clips und ihrer Postings in den sozialen Medien. Was ist für sie der “American Dream”? Was ist für sie Freiheit? Die Fragen an sie spiegeln die großen, grundsätzlichen Themen, die wir bei „Moby-Dick“ vorfinden.

Wofür steht der weiße Wal? Wohin führt die Jagd? Wonach streben die Menschen in den USA? Mithilfe der Politikwissenschaftlerin Anne Nelson (Columbia University, New York) und dem Melville-Experten Christopher Ohge (University of London) werden verschiedene Les-arten im Hier und Heute angeboten.

Eins wird deutlich: Wer Amerika verstehen will, muss TikTok schauen – und „Moby-Dick“ lesen. Das über 170 Jahre alte Buch und die von Milliarden benutzte App haben eines gemeinsam: Sie geben Einblicke in ein Land, das von Widersprüchen geprägt ist.